28.06.2017 -
Super, wenn ich nun ein Problem habe, bei dem der Modelleisenbahner gefordert ist. Wo ich ihn finden kann, weiß ich, ich kenne ihn, es ist mein Freund Oliver. Doch was geschieht, wenn ich ihn direkt auf die Hilfe anspreche, die er mir geben könnte? Er fragt mich vielleicht kleinlaut: „Glaubst du wirklich, dass ich der Richtige für diese Aufgabe bin? Die Aufgabe passt ja wohl nicht so ganz zu meinen Fähigkeiten, denn ich habe noch nie an einer Modelleisenbahnanlage dieser Art eine solche Signalanlage eingebaut. Was geschieht wohl,
wenn ich was falsch mache?
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28.06.2017 -
Super, wenn ich nun ein Problem habe, bei dem der Modelleisenbahner gefordert ist. Wo ich ihn finden kann, weiß ich, ich kenne ihn, es ist mein Freund Oliver. Doch was geschieht, wenn ich ihn direkt auf die Hilfe anspreche, die er mir geben könnte? Er fragt mich vielleicht kleinlaut: „Glaubst du wirklich, dass ich der Richtige für diese Aufgabe bin? Die Aufgabe passt ja wohl nicht so ganz zu meinen Fähigkeiten, denn ich habe noch nie an einer Modelleisenbahnanlage dieser Art eine solche Signalanlage eingebaut. Was geschieht wohl, wenn ich was falsch mache? Nein, ich glaube nicht, dass ich der geeignete Helfer bin.“
Wo ist sein Selbstbewusstsein? Was für eine verzerrte Selbstwahrnehmung muss ich hier erleben! Leider ist es nun auch nicht hilfreich quasi gebetsmühlenartig zu betonen, dass er der beste undgeeignetste Helfer wäre, den ich mir vorstellen kann. Eine bessere Erfahrung habe ich damit gemacht, erst einmal darzulegen wo mein Problem und wo auch meine generelle Unfähigkeit liegt. Von Modelleisenbahnen habe ich keine Ahnung, ehrlich! Oliver würde vielleicht sagen: „Ja, aber du bist doch Doktor!“ „Das stimmt“, würde ich ihm antworten, „das ändert aber auch rein gar nichts daran, dass ich in Bezug auf Modelleisenbahnen total unfähig bin und keine Ahnung habe. Aus diesem Grunde brauche ich dich mit deiner Erfahrung. Bitte hilf mir.“ Mit dieser Vorgehensweise nehme ich mich zurück, mache meinen Partner groß und mit meinem direkt an ihn adressierten Hilferuf appelliere ich an ihn, mir mit seinen Fähigkeiten aus der Klemme zu helfen. Es ist besser ihn zu loben, dass er in der Lage ist vierhundert Worte fehlerfrei und einen tollen Aufsatz zu schreiben als auf vier kleine Fehler hinzuweisen.
Was hat Oliver eigentlich in den letzten Jahren in Sachen Modelleisenbahn geleistet? Er hat mit großer Ausdauer und Selbstkontrolle (mit innerer Disziplin) ein enormes Fachwissen aufgebaut. Er könnte ohne Probleme kleine Aufsätze und Fachartikel in Modelleisenbahner-Fachmagazinen schreiben. Doch der Mann, der als Junge gestresst war, weil er im Diktat Fehler gemacht hatte und von seinem Lehrer vorgeführt wurde, der würde das nicht tun, weil er befürchten müsste wieder lächerlich gemacht zu werden. Mann, ist das schade! Ich frage mich, was aus meinem Freund, dem Modelleisenbahner,
geworden wäre, wenn er andere Lehrer gehabt hätte. Vielleicht wäre er ein Schriftsteller geworden, der mit Ausdauer und Selbstkontrolle einen großartigen Roman geschrieben hätte. „So what!“ Er ist es nicht geworden, doch jetzt hilft er mir bei meinem Problem und das macht er gut.
Ich sehe Oliver bei der Arbeit zu, sehe, wie er sein top gepflegtes Werkzeug zurecht legt. Wie die Handgriffe bei ihm sitzen, finde ich faszinierend. Wie eines zum anderen kommt und eine Lösung entsteht ist wunderbar anzusehen. Da ist ein Mann, der weiß und versteht was er tut. Wir sprechen miteinander, ich reiche ihm die gewünschten Werkzeuge und das geforderte Material. Ich unterhalte mich mit einem „Handwerker“, ich erkenne aber sehr rasch, dass ich es mit jemandem zu tun habe, der logisch denken kann. Er erzählt mir von den Büchern, die er liest, von den Filmen, die er sich ansieht und den Reisen, die er mit seiner Familie unternimmt. Wir legen eine Pause ein und essen eine Kleinigkeit und er erzählt mir wo bestimmte Gewürze herkommen und was man machen muss um aus einem belegten Brötchen ein kulinarisches Kunstwerk zu machen. Oliver schildert mir seine Sicht der Welt und wie er zur Eurokrise und dem arabischen Frühling, zur Reform des Gymnasiums in Bayern und dem neuen Trainer der Deutschen Handballnationalmannschaft steht. Es stimmt schon, ich habe es mit einem Handwerker zu tun, aber mit jedem Wort aus seinem Mund kann ich erkennen, dass da ein Mensch sitzt, der die Welt versteht und genau weiß, auf was es ankommt. Ich denke mir, wie schade ist es, dass unser Deutschlehrer das nicht erleben kann.
Wie punktgenau schildert mir Oliver die Herausforderungen unserer Zeit. Wie sauber ordnet er seine Sicht der Welt und entlarvt all die Schwätzer, die in Talkshows oder Politrunden allabendlich im Fernsehen zu sehen sind. Er zeigt wo sein Herz schlägt und was ihn bewegt. Da kommen keine dummen Sprüche oder Stammtischparolen, nein, es offenbart sich ein bodenständiger Mensch mit einer einwandfreien, moralischen Integrität. Zur Wahl geht er aber nicht mehr, erzählt er mir.
Fortsetzung folgt...
Dies ist ein Auszug aus dem Buch "Der ProjektManager und Fräulein Sophie", von Dr. Roland Ottmann. Das Buch können Sie
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